Wenn sie nach Hause kommt, ist das oft seltsam. Dann stellt sie fest, wie sehr sie sich in kurzer Zeit verändert hat. Dann steht sie in einem Zimmer, das eigentlich ihres ist, sie aber nur daran erinnert, wie sie mal war. Das "Aha"- Poster an der Wand und die Schälchen mit Krimskrams, die überall rumstehen, haben sich überlebt. Weg damit. Eigentlich muss sie ständig umräumen, sich selbst hinterherräumen. So schnell, wie das alles geht in ihrem Leben. Sie hat aufgehört, Tagebuch zu führen. Weil mehr passiert, als sie aufschreiben kann.
Sie ist 24 und seit zwei Jahren das, was man prominent nennt. Das heißt: Es gibt viele Mädchen, die sich die Haare so frisieren wie sie. Und Leute, die fast ohnmächtig werden, wenn sie sie mal in echt treffen. Was ein bisschen lustig ist, weil Felicitas Woll selbst sehr nervös ist, wenn sie es mit einem nervösen Fan zu tun bekommt, und da dann zwei voreinander stehen, denen die Herzen in die Hosen rutschen.
Felicitas Woll spielt die sehr gelungene Hauptrolle in einer der besten täglichen Vorabendserien, die es im deutschen Fernsehen je gab. Das liegt daran, dass diese Serie nicht für den Vorabend und schon gar nicht für täglich geplant war. "Berlin, Berlin" war gedacht als zwölfteilige ARD-Serie, die entsprechend kostspielig und liebevoll produziert wurde. Dann wurde das Programm umgebaut, und aus "Berlin, Berlin" ein untypisches, aufwendiges, tägliches, halbstündiges, kleines TV-Ereignis. Jetzt ist die dritte Staffel gestartet, von mehr als zwei Millionen Zuschauern sicherlich freudig, aber auch bang erwartet. Weil man ja bei diesen jungen Dingern nie weiß, was sie als Nächstes tun.
Felicitas spielt Lolle, das Landei, das nach Berlin gezogen ist und nun die Stadt, die Liebe und verschiedene WGs erkundet. In der ersten Staffel trug sie noch als Markenzeichen Pony und Pferdeschwanz. Das sah ein bisschen bieder, ein wenig naiv und total niedlich aus. Wie ein Welpe, der sich zum ersten Mal aus dem Körbchen wagt, tapste Lolle durch die Großstadt und Felicitas durch ihr Leben.
Aber gerade hatten ihre Fans sich die Haare wachsen und den Pony zurechtschneiden lassen, da tauchte Lolle in der zweiten Staffel mit Kurzhaarschnitt auf. "Wenn ich mich verändere, muss die Lolle sich mit mir verändern. Die alte Frisur, dieses Brett vorm Kopf, dass passte einfach nicht mehr. Ich bin erwachsener geworden, und da blieb Lolle nichts anderes übrig, als das auch zu werden."
Entdeckt wurde Felicitas Woll, wie man das sonst nur aus schlechten Vorabendserien kennt. In einer Dorf-Disco namens "Fly". Felicitas trug eine geblümte Weste, tanzte mit geschlossenen Augen in einer Ecke, eine Frau trat auf sie zu, drückte ihr eine Visitenkarte in die Hand und fragte: "Willst du Schauspielerin werden?" Tja, was soll man da sagen? Felicitas sagte erst mal nichts, steckte die Karte ein und tanzte weiter. Doch die Sache war ernst, und an ihrem 18. Geburtstag brach sie die Ausbildung zur Krankenschwester ab und entschied sich für einen Beruf, von dem sie nicht wusste, ob er der richtige für sie war. "Ich habe die Schauspielerei von Anfang an geliebt, aber ich war mir sehr lange unsicher, ob diese Liebe auf Gegenseitigkeit beruht", sagt sie. Felicitas verließ den Bauernhof bei Kassel, auf dem sie in einer Art Familien-Kommune mit Mutter, Tante und Onkel, vier Geschwistern, drei Pflegekindern und einer Adoptivschwester aufwuchs, zog zunächst nach Köln, dann nach Berlin. Städte, die sie nur aus dem Fernsehen kannte. Sie setzte sich verdammt oft in falsche Züge oder U-Bahnen, fühlte sich überfordert, einsam und gleichzeitig gepackt vom Ehrgeiz, das alles zumindest zu überleben. Und sie erzählte Leuten auf die Frage, was sie denn beruflich mache, sie würde studieren. "Weil ich mich geschämt habe. Ich habe mich schrecklich gefühlt, war unsicher und habe im Grunde immer gehofft, dass mich niemand im Fernsehen sieht." Heute, nach dem Deutschen Fernsehpreis und dem Grimme-Preis, hat sie endlich das Gefühl, dass ihr Beruf sie genauso leidenschaftlich liebt wie sie ihn.
Felicitas Woll sieht heute genauso aus, wie sie ist. Nämlich von allem etwas. Eine junge Frau mit Resten von Babyspeck auf den Hüften. Mit einer möblierten Produktionswohnung in Berlin und einem Zimmer bei ihren Eltern. Begeistert von ihrem Leben, ungläubig immer noch, wenn sie sich von Plakaten selbst zulächelt. Single, getrennt von einem, der mit ihrer Karriere nicht klarkam. Im April startet ihr Kinofilm "Abgefahren", und sie fängt an, sich zu fragen, ob Jungs, die sie mögen, wirklich sie oder die aus dem Fernsehen meinen. Sie liebt es, sich zu verkleiden, hat fünf Perücken, darunter keine blonde. Wenn sie weinen soll im Film, schafft sie das nur über pure Konzentration. Man hat ihr geraten, sich an etwas Schreckliches zu erinnern. Aber da ist ihr nichts eingefallen.
Eine vierte Staffel von "Berlin, Berlin" wird es mit Sicherheit geben. "Und dann ist wahrscheinlich ein Abschied fällig", sagt Felicitas Woll. Die nächsten Wochen hat sie frei. Sie sei faul, sagt sie. Aber sie hat zu tun. Sie muss mal wieder ihr Zimmer umräumen.
Ildikó von Kürthy für Stern