Heute Nacht stirbt Heiner
Sächsische Zeitung, 31. Mai 2005

Mit gewaltigem Aufwand wird nahe Köln für den ZDF-Zweiteiler „Dresden“ der Feuersturm gedreht.

Die Nacht, in der Carl Mauth seine Beine verliert und verblutet, ist warm. Es geschieht in der Nacht zum 14. Februar 1945. Britische Lancaster-Bomber haben drei viertel der Dresdner Altstadt in Brand gesteckt. Die Luftangriffe auf die Industriezentren und Nachschubbasen Leipzig, Chemnitz und Dresden an der Ostfront sollen das Kriegsende beschleunigen. In dieser Nacht fallen 1 472 Tonnen Spreng- und 1 262 Tonnen Brandbomben auf Dresden. Gegen halb zwei in der Nacht fliegen die Briten ihre zweite Angriffswelle.

Doch an der Kreuzung Reuterstraße/Rehmannstraße ist weder die eisige Winterkälte zu spüren noch die Gluthitze der Feuersbrünste. Einige der 40 präparierten Fensterhöhlen in den ausgekohlten Ruinen werden angezündet, vier Windmaschinen angeworfen und das laue Lüftchen auf der fiktiven Dresdner Straßenkreuzung verwandelt sich in ein Inferno aus Lärm, Staub und Hitze.

Zwischen echtem Schutt und aufgebauten Kulissen auf einem Gelände der ehemaligen belgischen Kaserne „Camp Spich“ in Troisdorf nahe dem Kölner Flughafen macht die Berliner Produktionsfirma teamWorx die Nacht zum Tag. Hier entstehen in diesen Tagen die Explosions- und Feuerszenen für den zehn Millionen Euro teuren ZDF-Zweiteiler mit dem Arbeitstitel „Dresden“. An Originalschauplätzen in der sächsischen Landeshauptstadt wurden bereits im Winter die Außenszenen gefilmt.

Stunden vor dem Dreh in Troisdorf: Die ganze Crew einschließlich einiger Dutzend auf tot oder verwundet geschminkter Komparsen wartet darauf, dass die Sonne untergeht. Ein 64-jähriger stummer Feuerwehrmime pendelt mit seiner 19-jährigen Tochter schon seit drei Tagen aus Wuppertal. Aus Begeisterung, bei solch einem monumentalen Projekt dabei zu sein, nicht wegen der 65 Euro Aufwandentschädigung pro Drehtag. Insgesamt 1 500 Komparsen im Film, die allesamt historische Kleidung, Schuhe und Haarschnitte brauchen, sind bald ebenso teuer wie Kulissen und Spezialeffekte.

Deshalb wird der Film aus vielen Töpfen gefördert. Der Feuer-Drehort weitab vom historischen Original-Schauplatz ist den Auflagen der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen geschuldet. Und weil zum Beispiel auch Bayern Geldgeber ist, wird in München später die aufwändige digitale Nachbearbeitung stattfinden.

Das verlassene Militärgelände bei Troisdorf, weitab von Anwohnern, eignet sich ideal für ein künstliches Inferno. „Hier können wir wüten, wie wir wollen“, sagt Sascha Schwingel. Der 33-jährige Produzent dreht den Film gemeinsam mit dem renommierten Firmenchef Nico Hofmann, der schon für zahlreiche Geschichts-Verfilmungen wie „Der Tunnel“ oder „Stauffenberg“ ausgezeichnet wurde.

Barock in der Kaserne

Drei Wochen lang wurden die abbruchreifen Gebäude vor Drehbeginn fachgerecht demoliert. Schmucklose Kasernengebäude aus den 60er Jahren haben sich auf 300 Quadratmetern Spielfläche in zerstörten Dresdner Barock verwandelt. Die kunstvoll aufgebrochenen Fassaden bieten Einblicke in halbe Zimmer, die in einem zerklüfteten Gewirr aus Stahlbeton und Mauerstücken enden. Ein Teil der Möbel liegt zwischen Schuttbergen und ausgebrannten Autos. Dazwischen Mauersteine, ausgerollte Feuerwehrschläuche, eine alles überziehende Staubschicht.

Normale Gebäude müssen einem Großfeuer 90 Minuten lang standhalten, um als besonders brandfest zu gelten. Die 300 000 Euro teuren Feuerkulissen von „Dresden“ dürfen fünf ganze Nächte lang nicht einstürzen, obwohl während der Dreharbeiten 15 000 Liter Gas verfeuert und Temperaturen von bis zu 3 000 Grad erzeugt werden, um den Feuersturm zu simulieren. „Ein normales Filmset macht so etwas nicht mit“, sagt Szenenbildner Thomas Stammer. Verkohlt aussehende Fassadenteile ließ er in Brandenburg aus feuerfesten Materialien zusammenbauen und mit zwölf Sattelschleppern nach Troisdorf karren. Die Kulissen brennen also nicht wirklich ab, doch das Inferno wirkt so echt, dass auch Hollywood schon angefragt hat, was denn die Deutschen zurzeit Kinotaugliches verfilmen.

ZDF-Intendant Markus Schächter nennt das Filmprojekt, das im kommenden Jahr gezeigt werden soll, eines der „größten, wichtigsten und ungewöhnlichsten“ der letzten Jahre. Fernsehspielchef Hans Janke spricht von den Schwierigkeiten, ein so umstrittenes und traumatisches kollektives Erlebnis wie die Bombardierung von Dresden angemessen zu erzählen. „Wir wollten weder eine Bomben-Schnulze noch ein Entschuldungsdrama“, sagt Janke. Dem Autor Stefan Kolditz sei diese Gratwanderung mit dem Konstrukt einer Liebesgeschichte zwischen der Tochter (gespielt von Felicitas Woll ) des Dresdner Klinikchefs Mauth (Heiner Lauterbach) und einem abgestürzten britischen Piloten hervorragend gelungen.

Sämtliche Bomberpiloten werden von Engländern gespielt, drei Historiker wurden als Berater hinzugezogen. Dennoch habe es mit den Briten lange Debatten um historische Details und Wahrnehmungen gegeben, erzählt Produzent Hofmann. Nirgendwo sei eine rollfähige Lancaster aufzutreiben gewesen, schildert Szenenbildner Stammer. Bei einem Tüftler in Südengland zog das Team schließlich immerhin ein detailgetreu zusammengebautes efeubewachsenes Cockpit mit Abschlepphaken aus dem Garten. Jetzt dreht man in einer echten Lancaster-Kanzel und am Himmel ziehen später im Film digital erzeugte Bomber ihre Kreise.

Bei Einbruch der Dunkelheit bewegt sich der Tross von Statisten in Richtung Feuerset, wo die Filmcrew schon wartet. „Heute Nacht stirbt der Heiner“, sagt Regisseur Roland Suso Richter. Es ist die Nacht, in der Carl Mauth von einer Bombe getroffen wird.